In einem zweiseitigen Dokument regelte das Auswärtige Amt in Bonn mit der türkischen Botschaft am 30. Oktober 1961 die Entsendung von Arbeitskräften aus der Türkei nach Deutschland: das sogenannte Anwerbeabkommen. Es wurden zwar Arbeiter gerufen, mit Hinblick darauf, dass diese Menschen nach verrichteter Arbeit in meist unwürdigen Arbeitsstätten wieder zurück in die ‚Haymat‘ geschickt werden sollten – doch die meisten blieben und bilden heute die größte ethnische Minderheit in Deutschland.
Am 60. Jahrestag des Anwerbeabkommens zwischen Deutschland und der Türkei hinterfragt das Schauspiel Hannover in der von Murat Dikenci geleiteten Reihe Universen wir mit den beiden Filmen Schweinemilch und Gurbet is home now kritisch das Ankommen und das Leben in der neuen Haymat.
Im Anschluss an die Screenings finden Gespräche mit den Regisseur:innen statt.

Schweinemilch Mit viel Witz, Ironie und Feingefühl erzählt der Kurzfilm die ersten Stunden und Missgeschicke im Leben drei junger türkischer Gastarbeiter im Deutschland der 1960er Jahre. Eine Komödie über Missverständnisse, Vorurteile und das Ankommen in einem fremden Land.

Gurbet is home now Ein filmischer Essay der Künstlerin Pınar Öğrenci über Stadtentwicklung und das Leben von türkischen Migrant:innen im heruntergekommenen Kreuzberg der 1980er Jahre, dem sie mithilfe von zeitgenössischen Fotografien, türkischen Gedichten und Interviews auf die Spur kommt.

Seit der Premiere von Die Lücke am Schauspiel Köln vor sechs Jahren ist Deutschland von zahlreichen rassistischen Morden und Anschlägen, wie in Halle, Hanau, Chemnitz oder Kassel erschüttert worden – die Rechte hat aufgerüstet. Auch der NSU-Prozess fand nach fünf langen Jahren einen vermeintlichen Abschluss und der über 3.000-seitige Schuldspruch ist erst Anfang Mai veröffentlicht worden; dennoch sind viele Fragen offen und die Auseinandersetzung ist keineswegs abgeschlossen: Anwälte der Mordopfer beklagen, dass das Gericht verpasst hätte, den Mordopfern ein Gesicht zu geben. Auch sei die Rolle des Verfassungsschutzes und der Polizei nicht hinreichend verhandelt worden.
In Die Lücke 2.0 wird hinterfragt, wie die Betroffenen der Keupstraße das NSU-Urteil wahrgenommen haben, wie der aktuelle Stand bezüglich des Mahnmals ist, dem geplanten Erinnerungs- und Lernort, und wie es sich in Deutschland aktuell leben lässt.
Das Schauspiel Hannover lädt im Rahmen von Kein Schlussstrich! zu einer multimedialen Listening Session und anschließendem Gespräch ein.

Kulinarisches Begegnungs- und Workshopformat von und mit Mark Schröppel und Stephan Mahn/Performancekollektiv SKART
Für Menschen ab 10 Jahren

In Deutschland werden jährlich zahlreiche Menschen Opfer rassistischer Gewalttaten. Doch oft stehen unmittelbar nach den Anschlägen die Täter im Fokus. Diesen Fokus lenkt der Fotograf Jasper Kettner in Kooperation mit Ibrahim Arslan auf die Hinterbliebenen der Opfer rassistischer Gewalttaten um und trägt dazu bei, dass wir ihre Gesichter kennen.
Das Ausstellungsprojekt Die Angehörigen porträtiert Menschen, die mit dem Verlust ihrer Familienmitglieder oder Freund:innen durch rassistische Gewalt leben und durch die mangelnde Aufklärung dieser Morde durch den Staat oft allein gelassen werden.
Im Anschluss an die Ausstellungseröffnung findet ein Künstlergespräch statt. Die Ausstellung wird während des gesamten Aktionszeitraums zu sehen sein.

Zehn Menschen hat der NSU ermordet – ihre Namen können die meisten Deutschen noch nicht einmal korrekt aussprechen. Deshalb lädt Ülkü Süngün Passant:innen an der Kröpcke-Uhr zu einem performativen Sprachkurs ein – an dem Ort, wo sich der NSU mit Unterstützern aus Hannover getroffen hat. Im Akt des repetitiven Aussprechens der zehn Namen klingen Erinnerung und Anerkennung nach, es entsteht ein temporäres Mahnmal für Theodoros Boulgarides, Michèle Kiesewetter, Habil Kılıç, Mehmet Kubaşık, Abdurrahim Özüdoğru, Enver Şimşek, Süleyman Taşköprü, Mehmet Turgut, İsmail Yaşar und Halit Yozgat.

Die Veranstaltung findet im Rahmen der Reihe Universen unter der künstlerischen Leitung von Murat Dikenci am Schauspiel Hannover statt.

Erstmals Aufmerksamkeit auf sich ziehen konnte Ebow durch Guerilla-Auftritte in Waschsalons, Supermärkten oder der Straßenbahn. Heute tritt die in Wien und Berlin lebende und arbeitende Künstlerin zwar auf konventionelleren Bühnen auf, ihre Message aber bleibt provokant und politisch. Solo, aber auch als Mitglied der Gaddafi Gals, rappt sie u.a. gegen Sexismus, Rassismus und Homophobie, für eine offene, solidarische und gleichgestellte Gesellschaft. 2013 erschien ihr Debütalbum Ebow auf Disko B. Der Nachfolger Komplexität war im November 2017 ihr erstes Album auf Problembär Records und sollte inhaltlich und musikalisch der Diversität unserer Gesellschaft Rechnung tragen. Ihr neues Album K4L widmet sich hingegen den Gemeinsamkeiten und jenen Dingen, die uns alle verbinden.

Das Konzert findet im Rahmen der Reihe Universen unter der künstlerischen Leitung von Murat Dikenci am Schauspiel Hannover statt.

Halle, Kassel und Hanau. Rostock, Solingen und Dessau-Roßlau. All diese Orte vereint, dass sie emblematisch für rassistisch motivierte Anschläge und Morde stehen. Diese und weitere Städte sind durch die Aufgabe verbunden, sich mit den Folgen rechtsextremer Gewalt auseinanderzusetzen, die die gesamte Gesellschaft betreffen. Spätestens die Tatsache, dass der NSU über Jahre ungehindert töten konnte, offenbart wie gefährlich Neonazis nach wie vor sind, für ihre Feindbilder mindestens ebenso wie ihre Ideologie für demokratische Gesellschaften an sich.

Anlässlich des zehnjährigen Öffentlichwerdens des NSU verbinden sich die Theater der Täter- und Opferstädte des NSU, um der Opfer zu gedenken und künstlerisch wie diskursiv an die Verbrechen zu erinnern. Eines ist klar: Es muss alles getan werden, damit sich eine organisierte Serie menschenverachtender und rassistischer Morde nicht wiederholt. Doch wie kann die seit den 1970er Jahren kontinuierliche Gewalt von rechtsextremen Tätern durchbrochen werden? Wie organisiert ist die gewaltbereite Szene? Welche Rolle spielen hierbei die fiktionalen Räume, die Kunst und Theater eröffnen? Was bedeutet antifaschistischer Widerstand? Und kann dieser schon auf der Bühne eines Stadttheaters anfangen?

In der Debattenreihe »Paroli« am Anhaltischen Theater Dessau begegnen sich jeweils zwei Gäste mit unterschiedlichen Perspektiven und kommen ins Gespräch über ein gesellschaftlich relevantes oder umkämpftes Thema. Im Fokus steht dabei das Verhältnis von Theater(-machen) zur Gegenwart.

Heike Kleffner ist Journalistin und Geschäftsführerin des Verbands der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt (VBRG e.V.). Sie leitete von 2004 bis 2009 die Mobile Beratung für Opfer rechter Gewalt in Sachsen-Anhalt und schreibt seit den 1990ern Jahren über rechte Gewalt und Rechtsterrorismus. Sie ist Mitherausgeberin (mit Matthias Meisner) der aktuellen Sammelbände »Fehlender Mindestabstand: Die Coronakrise und die Netzwerke der Demokratiefeinde« (Freiburg, 2021) und »Extreme Sicherheit: Rechtsradikale in Polizei, Bundeswehr, Justiz und Verfassungsschutz« (Freiburg, 2019).

Mouctar Bah ist Mitbegründer der Initiative in Gedenken an Oury Jalloh, die sich unmittelbar nach dem Brandtod Oury Jallohs in der Gewahrsamszelle Nr. 5 des Polizeireviers Dessau-Roßlau am 7. Januar 2005 zusammengefunden hat. Mouctar setzt sich anhand politischer Bildungsarbeit für die Aufklärung des Mordes an Oury Jalloh sowie gegen institutionellen Rassismus und Polizeigewalt ein.

»Wer oder was bin ich eigentlich – Deutscher oder Türke?« Diese Frage stellt sich der sechsjährige Cenk Yilmaz, als ihn beim Fußball weder seine türkischen noch seine deutschen Mitschüler in ihre Mannschaften wählen. Um Cenk zu trösten, erzählt ihm seine 22-jährige Cousine Canan die Geschichte ihres Großvaters Hüseyin, der Ende der 60er-Jahre als »Gastarbeiter« nach Deutschland kam und später Frau und Kinder nach »Almanya« nachholte … (Quelle: Katalog 61. Internationale Filmfestspiele
Berlin)

Deutscher Filmpreis in Gold für das beste Drehbuch 2011

Im Anschluss Nachgespräch mit Nilgün Taşman | Moderation: Roswitha Keicher

1991 begannen in Jena die Diskussion über die Aufnahme der ersten »Asylbewerber«. Im Einigungsvertrag war festgehalten, dass auch die ostdeutschen Länder einen Teil der ankommenden Geflüchteten aufnehmen mussten. Wie andere Kommunen war auch Jena auf diese Situation kaum vorbereitet. Wie erlebten Geflüchtete diese Situation? Wie den Rassismus im Alltag oder in den Behörden? Welche asylpolitischen Strukturen und zivilgesellschaftlichen Organisationen entwickelten sich, wie fanden Geflüchtete ihren Platz in der Stadt? Und was hat sich in den letzten dreißig Jahren verändert? Nach der Diskussion auf dem Podium wird eine Fotoausstellung zur Erstaufnahmeeinrichtung im Jenaer Forst eröffnet, die 2001 erstmals gezeigt wurde.

Die Entstehung und Radikalisierung des »NSU« sind mit der Stadtgeschichte Jenas um 1990 eng verbunden. Das Klima in der Stadt bot den Nährboden, auf dem (Alltags-)Rassismus und Rechtsradikalismus wuchsen. Wie nahm die Stadtgesellschaft die Ausbreitung von rechtsextremem Gedankengut und rechter Gewalt wahr? Wie begegneten städtische Autoritäten und gesellschaftliche Akteurinnen der Radikalisierung rechtsextremer Milieus? Wo lagen Orte der Gewalt, wo fanden Betroffene Schutz, wo entstand zivilgesellschaftliches Engagement? Wie lebten Migrantinnen in der Stadt, wie nahm die Stadtgesellschaft sie auf, wie erfuhren sie Rassismus im Alltag? Entlang dieser und weiterer Fragen führt der Rundgang zu städtischen Angstzonen und Schutzräumen um 1990. Organisation und Durchführung: ThürAZ in Zusammenarbeit mit Mitarbeitenden, Promovierenden und Studierenden des Lehrstuhls für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Jena.
Treffpunkt ist jeweils die Holzskulptur gegenüber der Jungen Gemeinde Stadtmitte (Johannisstr. 14).

Der Rundgang wird gefördert durch den Fonds Soziokultur aus dem Programm NEUSTART KULTUR der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien und durch den BMBF-Forschungsverbund Diktaturerfahrung und Transformation.