Zunächst waren Hans und Sophie Scholl begeistert, dann distanzierten sie sich allmählich vom Nationalsozialismus: Das Klassendenken, die Einschränkung der persönlichen Freiheiten und der Krieg widersprachen zutiefst ihren Überzeugungen. In Flugblättern, die mit „Weiße Rose“ unterzeichnet waren, riefen sie zum Widerstand auf und bezahlten dafür mit dem Leben. In seiner Kammeroper widmet sich Udo Zimmermann der Innenwelt der Geschwister in der Stunde ihres Todes.

Hoyerswerda 1991. Mölln 1992. Solingen 1993.
Wir hatten ein Problem. Halle 2019. Hanau 2020. Wir haben ein Problem.

Wir haben ein Problem. Es ist eine unaufgearbeitete Geschichte rechtsextremen Denkens und rechtsmotivierter Gewalt in Ost- und Westdeutschland, die uns bis heute verfolgt. Der Rechtspopulismus
rückt merklich in die Mitte der Gesellschaft und mit ihm werden Fremdenhass und Antisemitismus wieder salonfähig. Was können wir gegen unsere eigene Angst vor dem Fremden, dem Unbekannten tun? Sarah Finkel und Lucas Janson begeben sich an diesem Abend gemeinsam mit dem Pianisten Markus Herzer auf eine
Forschungsreise ins Ungewisse. In Monologen und Liedern fragen sie nach dem Ursprung von Vorurteilen und Rassismus, loten die Widersprüche der eigenen Identität aus, spielen mit dem Perspektivwechsel und geben den Opfern rechter Gewalt eine Stimme – auf der Suche nach einer Utopie.

Gern gesehene Gäste und mittlerweile einer der ältesten aktiven Hiphop-Acts in Deutschland: Mikrophone Mafia – immer politisch, immer gut!

Der größte Schmerz ist der Verlust. Es ist der tiefste Schmerz, der unheilbar ist. Wer hat das getan, warum ist niemand eingeschritten, warum hat niemand, weder Mensch noch ein Gott das verhindert? Wie können wir mit Verlusten umgehen?

Die St. Martinskirche in Kassel ist der Ereignisort einer immersiven Installation, in der das Publikum mit dem Klang einer Kirchorgel interagiert. Die Orgel ist dabei vollständig über Sensoren gesteuert und reagiert auf Zuhörer:innen, die sich in den Kirchenraum begeben. Die Intensität der Klänge ist abhängig von den Bewegungen der Menschen im Raum. Ist die Kirche leer, pulsiert die Musik, je voller der Raum wird, umso zarter und fragiler werden die Klänge, bis hin zu vollständiger Stille, in der nur die Stimme eines Kindes hörbar wird. Fragen nach Gemeinschaft und Verlust sind die Themen dieser Performance.

DIE ABWESENHEIT GOTTES / TANRI’NIN YOKLUĞU ist Teil des polytopischen Oratoriums MANİFEST(O) von Marc Sinan, das gleichzeitig acht Städte musikalisch miteinander verbindet.

In Kooperation mit den Kasseler Musiktagen

Was entzweit uns? Was verwirrt unsere Wege? Was macht uns zu Feinden?

Ist, vor dem Hintergrund unverzeihlicher Taten gegen Menschen, überhaupt so etwas wie Vergebung möglich? Es heißt, gutmachen kann man niemals, wo Menschen wirklich handeln. Sind Vergebung und Erlösung dennoch möglich? Vielleicht bleibt nur eine Chance. Das Leiden zu verstehen und anzuerkennen und den Opfern und ihren Angehörigen Gehör zu verschaffen. Aber auch die schreckliche Wahrheit der Taten und der Täter:innen niemals verloren gehen zu lassen. Vielleicht können Menschen und Gesellschaften dann beginnen, sich gegenseitig zu vergeben.

Die Kölner Keupstraße wird gefüllt sein mit zahlreichen Chören, die zum Innehalten auffordern. Von der Dortmunder Gedenkstätte ziehen Sänger:innen zum Dietrich Keuning-Haus. In Nürnberg versammeln sich die Chorist:innen vor dem Polizeipräsidium in der Innenstadt. Die Menschen singen und sprechen in ihren individuellen Traditionen einen gemeinsamen Text, die „Flüsternde Vergebung“. Auskomponierte Teile sind so angelegt, dass die Heterogenität der Stimmen und musikalischen Fähigkeiten jeden Abend eine andere Qualität und Form dieses außergewöhnlichen Zusammenseins und Gebets möglich machen. Eine Kamera bewegt sich durch die Menschenmenge und überträgt eine subjektive und veränderliche Rezeption der Performance an die jeweiligen Aufführungsorte des Oratoriums.

Es geht darum, eine gemeinsame Stimme zu finden und zu erleben. Gemeinschaft zu spüren, ist ein Rausch, ein Gefühl wie bei den Gesängen in einem Fußballstadion – nur, dass die Gegner nicht andere Menschen oder gegnerische Teams sind, sondern das uns Trennende, die Gräben und Ängste zwischen uns und in uns selbst. Das Publikum vor Ort wie auch die Besucher:innen der parallel aufgeführten Vorstellung des Oratoriums MANİFEST(O) werden eingeladen, selbst Teil dieses Chores zu werden. Eine eigene Projektwebsite mit Live-Streams kann per Smartphone angewählt werden und ermöglicht dadurch einen besonderen Grad der Zugänglichkeit und Partizipation. Egal, wo man sich auch befindet, jede:r hat die Möglichkeit des Mitsingens.

Seid nicht bang
der Tag ist schön
Helle scheint in jeder Tiefe. Ich
wollten hier nicht sterben verzeiht
dass ich hier liege. Der erste Schmerz ist
der Verlust. Der zweite Schmerz der Hass. Der
dritte Schmerz Vergebung. Noch immer warte ich auf
die Gerechtigkeit. Ich kann verstehen doch nicht verzeihn.
Vergebung ist nicht vergessen. Fragt heute. Schweigt nicht.
Bleibt ihr stumm, wird es auch euch treffen. Helft uns tretet für
uns ein. Vergesst uns nicht. Sagt meinen Namen. Und ich habe
wieder einen Namen. Erinnert mich erinnert euch und zusammen
verbrennen wir die Angst.

DER CHOR DER VERGEBUNG / AFFETME KOROSU ist Teil des polytopischen Oratoriums MANİFEST(O) von Marc Sinan, das gleichzeitig acht Städte musikalisch miteinander verbindet.

Wie kann eine Tat, wie der Mord an Mitbürger:innen, gesühnt werden? Es gibt Schulden, die sind nicht abzahlbar. Aber vielleicht ist gerade das Erinnern die einzig wirkungsvolle Sühne und Vergeltung.

Der blinde Klarinettist Oğuz Büyükberber bewegt sich in Heilbronn, Zwickau und München zu den Tat- und Gedenkorten der Morde des sogenannten NSU. Hier improvisiert er jeweils an einem oder mehreren Orten einen musikalischen Dialog mit den Toten. Genährt von Trauma, Wut und Hass sind diese Konzerte, die Büyükberber spielt, schmerzvolle, hoch energetische, wütende Zwiegespräche mit der Vergangenheit und einem gegenwärtigen Publikum. Begleitet wird der Klarinettist bei all seinen Konzerten von der Stimme eines toten Mädchens, das selbst zum Opfer rassistischen Terrors wurde.  

GLÜHENDER HASS / YANAN NEFRET ist Teil des polytopischen Oratoriums MANİFEST(O) von Marc Sinan, das gleichzeitig acht Städte musikalisch miteinander verbindet.

Die Unterdrückten, die Angegriffenen, die Missachteten, die Getöteten, die Nicht-Freien, es gibt sie überall. Sie sind verfolgt worden, hatten Angst, sind unsichtbar gemacht, sind bedrängt worden, sind hier und überall geboren, sind viele. Alle, die Bedrohten, die Verfolgten, die Abgedrängten, die Marginalisierten, die Ausgeschlossenen haben ein Recht auf Schutz, auf Gehör und auf Widerstand. Und das ohne Unterschied.

Wie verarbeiten Menschen und Gesellschaften im 21. Jahrhundert die Folgen von Verbrechen des Menschen am Menschen? Wie reinigt sich eine Gesellschaft von untilgbarer Schuld und zurückbleibenden negativen Energien? Mit diesen Fragen setzt sich eine Gruppe von Künstler:innen in acht deutschen Städten, die vom Terror des sogenannten NSU besonders betroffen waren und sind, auseinander. Worte, Gesänge, Musik, Energie sind die Materialien einer rituellen Performance. Und an sieben Orten wird diese Performance sich weiterentwickeln, sich live und auf immer neue Weise mit dem auseinandersetzen, was Künstler:innen und unsere Gesellschaft noch immer zutiefst bewegt: Hass, Verachtung, Rassismus, Nationalismus, Ignoranz.

DER ALTAR DER RACHE / İNTİKAM SUNAĞI ist Teil des polytopischen Oratoriums MANİFEST(O) von Marc Sinan, das gleichzeitig acht Städte musikalisch miteinander verbindet.

Viele Opfer von Terrorakten und deren Angehörige warten weltweit wie auch in Deutschland noch immer auf ein klares Zeichen, ein abschließendes Urteil, dass endlich Gerechtigkeit geschieht oder zumindest „versucht“ wird. Genozide, Morde, von Staaten, Gruppen oder Einzelpersonen begangen – unsere Geschichte ist voll von Opfern und voll von Menschen, die auf Gerechtigkeit warten. Wann werden diese Menschen sagen dürfen, dass Gerechtigkeit geschehen ist? Wann wird es wieder hell, wann scheint wieder gleißendes Licht?

Der Pianist Emre Elivar setzt mit seiner Performance ein Zeichen und erinnert mit und durch die Komposition von Marc Sinan zugleich an die Schönheit wie die dunklen Abgründe menschlichen Handelns. In sechs Städten spielt Elivar auf einem Konzertflügel in Konzertsälen, an Bahnhöfen und auf öffentlichen Plätzen. Musikalisch ist das Programm ein Treffen der Gegensätze, eine wahnwitzige Überschreibung von Beethovens 5. Klavierkonzert, gerahmt von Kompositionen Haydns, Beethovens und Mendelssohns.

GLEISSENDES LICHT / PARLAYAN NUR ist Teil des polytopischen Oratoriums MANİFEST(O) von Marc Sinan, das gleichzeitig acht Städte musikalisch miteinander verbindet.